Krayer besiegeln Umgangsregeln

Von Asgard Dierichs

Sieben Leitlinien für ein friedliches Miteinander von Kulturen und Religionen haben jetzt Vertreter aus Politik, Kirchen und Schulen im Krayer Rathaus unterzeichnet. Sorge bereitet derzeit der Bereich Kray-Nord

Kray. „Hier würde ich nie wegziehen“, sagt Cuma Cinar vom Vorstand der Türkisch-Islamischen Ditib-Gemeinde Kray. Als Siebenjähriger sei er 1981 aus der Türkei gekommen und fühle sich längst heimisch im Stadtteil. „Ich liebe Kray, ganz ehrlich“, fügt er hinzu. Als einer von neun Vertretern hat er gerade ein wichtiges Papier im historischen Rathaus am Kamblickweg unterzeichnet: ein freiwilliges Abkommen, das ein gutes Zusammenleben zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur und Religion stärken soll.

Respekt, Hilfe, Offenheit
Initiator dafür war das Projekt „Arche Noah“ unter Willi Overbeck. Der evangelische Pfarrer im Ruhestand steuert als Kapitän des Initiativkreises Religionen in Essen (IRE) gezielt einzelne Stadtteile an, um sie zu coachen. Bislang legte die Arche in Altenessen (2016), Katernberg (2017) und Altendorf (2018) an.

Wie wollen wir in Kray miteinander leben? Welche Regeln braucht es dafür? Das fragten sich Katholiken und Muslime, Lokalpolitiker, eine Schule und andere lokale Institutionen bei einem ersten Treffen mit Bezirksbürgermeister Gerd Hampel. Man diskutierte miteinander und erstellte erste Vorschläge. Daraus wurden sieben Regeln gezimmert: Respekt, Offenheit, Wertschätzung, Achtsamkeit und gegenseitige Hilfe sind allen wichtig - und das haben sie nun schriftlich. Weil sich einige Beteiligte an dem in den nördlichen Quartieren verwendeten Begriff „Regeln“ gestoßen hatten, trägt der Pakt den neutralen Titel „Miteinander leben in Kray“.

Außen vor hielt sich die evangelische Gemeinde in Kray, die man ebenfalls zum Dialog eingeladen hatte. „Es ist jedem freigestellt, sich einzubringen“, erklärt Benedikte Baumann, künstlerische  Leiterin der „Arche Noah“. Aber enttäuscht sei man schon. Zumal es eine gute Ökumene im Quartier gebe, wie Peter Hoffmann, katholischer Pastor in St. Barbara, betont. In den anderen Stadtteilen haben bisher immer beide christlichen Konfessionen am Vertrag mitgewerkelt. Doch nach einem Vorabtreffen in Kray gab es bereits einen offiziellen Beschluss des Presbyteriums, sich nicht weiter zu beteiligen. „Wir bieten nur ein Format an“, sagt Overbeck, der das frühe Ausscheiden bedauert. „Wir wollen keinem etwas überstülpen.“

Noch etwas ist anders gelaufen im östlichen Stadtteil mit der Krähe im Wappen (altsächsisch „Creia“): „In Kray hat das Abkommen eine liebevolle Note bekommen“, freut sich Baumann. Ans Ende ihrer sieben Punkte haben die Beteiligten ein gemeinsames Bekenntnis gesetzt. Es lautet: „Wir lieben Kray!“ Gemeinsam möchte man einen lebens- und liebenswerten Stadtteil gestatten. Erste Ideen dazu hat Cuma Cinar, der sich als Geschäftsmann auch in anderen lokalen Gremien engagiert. „Früher gab es mehr Feste und sogar eine Kirmes. Das müsste wiederbelebt werden.“ Sorgen bereite in jüngster Zeit die Ecke Kray-Nord an der Kreuzung Krayer / Leither Straße. Dort entwickele sich ein sozialer Brennpunkt, dem man entgegenwirken müsse.

Das „Wir“ hat ab der fünften Klasse für rund 470 Schüler der Franz-Dinnendahl-Realschule an der Schönscheidtstraße einen hohen Stellenwert. Wie Konrektorin Manuela Bonnekamp erklärt, habe man gern an der Erarbeitung der „Miteinander-Leben-Regeln“ mitgewirkt. Das Arche-Projekt sieht sie in einer alten Tradition: „Seit vielen Jahrzehnten leben im Ruhrgebiet unterschiedliche Religionen und Kulturen unter einem Dach. So ist das hier.“ In der Schule entwickelte man vor zwei Jahren ein Leitbild, das sehr gut zu den jetzt im Kreis entwickelten Thesen passe. Hier wie dort stünden ein friedliches Miteinander und ein respektvoller Umgang ganz oben in der Werteskala.

Das Abkommen wird demnächst in 13 Sprachen übersetzt. Dann soll es auf Flyer und Plakate gedruckt im Quartier gut sichtbar verteilt werden. An der Franz-Dinnendahl-Realschule zählt Schulleiter Christian Ponten sogar mehr als 20 Muttersprachen unter seinen Schülern. „In jeder Woche gibt es für alle Klassen eine Werterziehungsstunde“, berichtet er. Hier gehe es um aktuelle Fragen in Politik und Gesellschaft.

Der nächste Hafen ist Steele
„Jetzt ist es Zeit, die Regeln mit Leben zu füllen“, betont Arche-Mitarbeiterin Benedikte Baumann am Ende des Festaktes. Danach winkt ein Buffet mit türkischen Spezialitäten. Willi Overbeck hebt nun den Anker und betont: „Wir ziehen weiter.“ Und gar nicht weit: Der nächste Hafen der „Arche Noah“ liegt in Steele. Auch dort will man in einem offenen Dialog alle ins Boot zu holen. „Das wird eine Herausforderung, das wissen wir!“ Aber der will man sich stellen. Vielleicht gelingt auch dort, was in Kray jetzt schwarz auf weiß steht: „Wir verstehen die Vielfalt in unserem bunten Stadtteil als Chance.“

Quelle: WAZ vom 03.10.2019 / Essen